Ausschnitte aus meiner Rede zur Aufnahme ins Masterstudium an der Akademie für Malerei Berlin 2013:

 

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Das Anpassen fällt mir überhaupt schwer. Nein, eigentlich finde ich es nicht gut sich anzupassen, selten. Aus meiner Sicht machen viele Menschen viel zu viel das, wovon sie denken, das sie es tun sollten ohne auf das zu hören, was sie wollen. Das nennt man auch konventionell.

 

Das hat nichts mit Kunst zu tun? Bei mir hat es sehr viel damit zu tun. Meine Entwicklung in der Kunst ist untrennbar mit meinem Interesse am Leben und an dem, wer wir sind, verbunden. Der von mir verehrte Künstler Antoni Tàpies (ich werde später noch auf ihn zurückkommen) drückt dies so aus: „Ich glaube, dass der Künstler noch eine letzte Insel der Freiheit ist und er deshalb die Menschen noch zum Nachdenken bringen kann. Denn die Vorstellungen, die die meisten Menschen von einem normalen Leben haben, entsprechen nicht dem wirklichen Leben, sondern einem Lebenssystem, das man ihnen auferlegt hat.“1

 

 

Im Kunst- Machen liegt für mich die Freiheit zu einem tieferen Sinn, den ich zum Existieren brauche. Ich beschäftige mich viel mit dem wer ich bin, wer wir sind und was man eigentlich sagen kann. In der Kunst kann man etwas ausdrücken, was in unserer normalen Sprache nicht zu sagen ist. Etwas oder auch eine Pluralität, die die Kraft haben muss, uns aus einer alltäglichen Verblendung zu reißen, wenn man sich darauf einlassen will. Kunst ist für mich etwas spirituelles. Dazu noch ein Zitat von Antoni Tàpies: „Wenn wir die Alchemie in einem sehr weitgefassten Begriff als Wissenschaft des Essentiellen und seiner Ursachen betrachten, dann versteht man, dass der Künstler sich dieser Wissenschaft bedient um das Unbenennbare auszudrücken und die Widersprüche aufzuheben. Aber bei mir ist das kein Ritual oder ein symbolischer Kanon. Das Sakrale deckt die Mythen auf, die der menschlichen Seele angehören und nicht Privateigentum der Religionen sind.“2 Zitat Ende. Ich selber bin eigentlich gar nicht religiös, aber ich glaube, dass jeder Mensch eine Antwort auf seine Existenzfrage sucht, wobei heute vielfach geglaubt wird, das diese z.B. in den Wissenschaften (vor allem in den Naturwissenschaften) oder in der Anhäufung von Besitz zu finden ist. Ich finde sie da nicht. Für mich mögen sowohl die Wissenschaft, wie auch das Geld ihre Berechtigung oder ihren Reiz haben, sie erscheinen mir aber als maßlos überschätzt und eher als eine Ausrede oder Krücke. Die Medien und Nachrichten bieten uns eine ähnliche für mich völlig unbefriedigende Erklärung der Welt. Eigentlich dienen die ja auch mehr oder weniger explizit der Zerstreuung. Die Kunst kann mich statt dessen wieder zu mir selbst bringen, wenn alles gut geht.

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Nun habe ich mich in der letzten Zeit genauso mit Psychologie und Philosophie auseinander gesetzt, wie mit Kunst. Mir ist bewusst geworden, dass mein Gefühl das allerwichtigste ist, nicht die Vernunft, die Rationalität oder das analytische Denken. So habe ich die Seele entdeckt! Klingt das zu theatralisch? Oder zu banal? Das ist dann eben das Problem mit der Sprache!

 

Mir ist bei meiner Beschäftigung mit Philosophie, Psychologie und Kunst auch wieder bewusst geworden, dass der Mensch frei ist und diese Freiheit mit individuellem Sinn füllen kann. Dazu schreibt Rüdiger Safaranzki: „ ... diese Wahrheit, auf die man sich stützen könnte wie auf etwas, das nicht aus einem selbst hervorgegangen ist, gibt es nicht.“3 Das heißt, man ist frei, weil das, was wir für wahr halten in einem selbst liegt und zu gestalten ist. Das heißt für mich auch, die Kreativität mit der wir Künstler uns vorrangig beschäftigen, ist etwas ganz essenzielles des Lebens.

 

Andererseits ist die Kunst ein besonders heikles Gebiet, weil gerade sie immer besonders durch die Sinnfrage bedroht ist. Es kann einem immer zu passieren in eine Krise zu geraten. Eine geordnete Betriebsamkeit, wie sie in den meisten Berufen herrscht, verfolgt - im Gegensatz zur Kunst - ein klares Ziel. Kunst ist immer nah am Selbstzweifel oder am Abgrund der Nichtigkeit, weil sie nur Kunst, also nichts echtes, nichts brauchbares, auch keine Wahrheit sondern immer nur Schein, ist. Safranzki schreibt über die Kunst: „Will sie sich nützlich, wirksam, verkäuflich erweisen, droht ihr der Selbstverrat.“4 Wenn man sie also auf ihren verwertbaren Wert abklopft, scheint da beinahe nichts übrig zu bleiben. Aber für mich kommt bei der Abrechnung mit der Kunst doch immer etwas positives raus. Das ist, wenn man so will, die spirituelle Essenz, dass was macht, dass die Kunst nie ganz von dieser Welt ist.

 

Mir ist bei meiner geistigen Auseinandersetzung mit dem Leben und der Kunst außerdem deutlich geworden, dass es Kontingenz gibt, d.h. der Zufall in unserem Leben eine entscheidende Rolle spielt und es eine Kunst ist diesen im Leben als solchen anzunehmen und damit umzugehen. Ich denke dies ist auch ein Aspekt der Freiheit, die wir haben. Erich Fromm schreibt in seinem Buch „Die Pathologie der Normalität“: „Meiner Überzeugung nach zielt die psychische Entwicklung auf die Fähigkeit, Unsicherheit ertragen zu können.“5 Zitat Ende. Unsere Gesellschaft versucht den Zufall oft auszuschalten indem sich jeder (meist über Geld und Versicherungen und Verträge und Pläne) abzusichern versucht. Aber die Unsicherheit macht das Lebendige aus und wir versteinern eher in unseren Abhängigkeiten von all diesem „Vorhersagen-Wollen“ und „Ausschalten-Wollen“ der Kontingenz. Kontingenz ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt auch meiner künstlerischen Arbeitsweise. Das bedeutet, den Zufall zu zulassen und ihn mit ins Spiel zu bringen;

 

mir ist außerdem klarer geworden, dass es nicht wirklich darauf ankommt, Erfolg zu haben, sondern eher darauf in sich zu hören, sich selber, d.h. dem eigenen Gefühl nachzuspüren und dann sich selbst einfach zu lieben wie man ist und damit auch den Anderen und die Welt. Vielleicht klingt das zu pathetisch. Denn es ist ja eigentlich eine Banalität, aber im Alltag tritt es vielleicht doch zu viel in den Hintergrund;

 

mir ist bewusst geworden, dass Hierarchien und Macht nur an einer dünnen Oberfläche existieren (das liegt unter anderem daran, dass wir alle sterblich sind);

 

mir ist bewusst geworden, dass es einen ganz eigenen und individuellen Weg gibt (gemeint ist natürlich, in der Kunst wie im Leben), den man nur selber finden kann und der nicht unbedingt der Norm entspricht. Insofern sind wir immer allein auf der Welt. Das macht Angst, aber es braucht keine Angst zu machen, denn ich bin mir sicher, dass wenn man sich auf sich selber einlässt und dass tut, was man will und dabei nach innen anstatt nach außen schielt (also nicht nach dem heideggerischen „man“), dass man dann den anderen Menschen eigentlich mit einer tiefen Ehrlichkeit viel näher kommt. Jedenfalls ist der ganz individuelle Weg wohl das, was mit dem Begriff des „Autentischen“ in der Kunst oft gemeint ist;

 

mir ist außerdem bewusst geworden, dass man keine Angst haben muss (auch nicht vor dem Tod), dass alles ein Ende haben wird (auch die Menschheit) und dass das in Ordnung ist; Damien Hirst (ich denke den 1965 geborenen Künstler kennen alle) sagt dazu: „... die Vorstellung vom ewigen Leben ist bestimmt keine Antwort. Ich stelle mir immer vor, mit der richtigen Haltung versteht man, dass die eigene Lebenszeit genügt. Dieses eine Leben, das man hat, genügt. Aber es ist sehr schwer in der Gegenwart zu leben.“6 Zitat Ende. Man braucht Mut um den Aufgaben, die einem vom Leben gestellt werden gerecht zu werden – im Besonderen in der Kunst;

 

mir ist bewusst geworden, dass nichts so ist, wie es scheint und wir uns deswegen auch nicht binden müssen;

 

dass man trotz all dem nicht verrückt werden muss, sondern sich an das Gegebene halten kann und damit kreativ sein kann;

 

dass man in der Kunst, wie im Leben loslassen muss, um sich zu finden;

 

und dass das Wichtigste im Leben nicht (einfach) in Wörter zu fassen ist.

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Meine Arbeiten wachsen also beinahe organisch. Sie sind prozesshaft, unvorhersehbar und orientieren sich an meist vorgefunden Materialien oder Substanzen, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe, weil sie mich inspirieren und meinem Gefühl intuitiv entsprechen. Es gibt dann eher kein Ziel, noch einen gut durchdachten Plan oder einen im voraus gesetzten Anspruch. Trotzdem entwickelt sich meine Arbeit automatisch in einem verständlichen Kontext, der sich um körperliches dreht. Bei einem analytischen, sezierenden oder berechnenden Vorgehen, das sich nicht auf Experimente einlässt und genau weiß, was es will, würden die Gefühls- und Körperwelten, die sich subtil und instinktiv einschleichen, verloren gehen. Dementsprechend ist die Entstehung meiner Objekte und Farbspuren nicht kalkulierbar und nur im Nachgang erklärbar – so wie das Leben.

 

Marcel Duchamp (er lebte von 1887 bis 1968) bemerkt in diesem Zusammenhang: „Wenn wir dem Künstler die Attribute eines Mediums zubilligen, so müssen wir ihm folglich den Zustand der Bewusstheit und der ästhetischen Ebene absprechen.“7 Zitat Ende. Dieses bewusstlose Arbeiten ist sicher wichtig. Ein Medium kann man allerdings nur sein, wenn man an etwas glaubt, dass durch einen durch geht. Bei mir geht nichts durch. Man könnte eher sagen: alles ist in mir und gleichzeitig überall.

 

Es gibt bei mir, wie schon beschrieben, einen objekthaften Ansatz, der auch meine Bilder betrifft und oft zur Installation übergeht. Das Material als solches fließt in die Bedeutung der Arbeit ein. Tàpies sagt: „Man muss erst in einen Dialog mit den Materialien treten, denn die Materialien sprechen, sie haben ihre eigenen Sprache.“8 Ich experimentiere mit Materialien direkt aus der Natur, und künstlichen Materialien und deren Zusammenspiel. Ich probiere sehr gerne dies und das und jenes aus. Im Mittelalter wäre es eine Hexenküche in der ich arbeite und immer wieder neue Rezepte ausprobiere.

 

Es gibt ein paar Künstler, die mich bei meiner Arbeit indirekt begleiten und unterstützen:

 

Beginnen möchte ich mit dem oben schon erwähnten Antoni Tàpies:

Er ist ein spanischer Künstler der 1923 geboren wurde und letztes Jahr gestorben ist. Seine Arbeiten erinnern in ihrer Materialität und Farbigkeit an Beuys. Was mich ein wenig mit ihm verbindet ist die Suche nach sakralen und magischen Dingen in der Kunst. Sein Interesse am Buddismus und nordischer Mystik kann ich sehr gut nachempfinden. Auch seine „Allergie gegen Farben“9 ist mir nicht fremd, aber zumindest was das Rot betrifft, das er übrigens als einzige Farbe, neben den Erdfarben, doch ab und zu auch benutzt, habe ich eine vergleichbare Abneigung überwunden.

 

Zu den für mich wichtigen Künstlern zählt außerdem selbstverständlich Joseph Beuys. Er ist 1921 in Krefeld geboren und 1986 in Düsseldorf gestorben. Ich fand ihn immer großartig. Ähnlich wie bei Tapies finden sich bei ihm mystisch aufgeladene Objekte. Beuys und Tapies sind sich nie begegnet, obwohl sie von einander wussten und Beuys nur 2 Jahre älter als Tapies war. Ich habe das Gefühl, dass die beiden Künstler beinahe ganz unabängig von einander auf ähnliche Ergebinsse gekommen sind. Beuys war aber ein Künstler der seine Umgebung und sein Leben extrovertierter bis hin zu politischen Aktionen in seine Kunst mit einbezog. Der Umgang mit den Medien war für Beuys ein Werkzeug zu dem Tàpies nie gegriffen hätte. Wenn – wie es meine Überzeugung ist – die Kunst nicht vom Leben des Künstlers ganz zu trennen ist – und ich denke dies trifft ganz besonders für den Charismatiker Beuys zu – dann kann man leider nicht umhin, sich mit Beuys Engagement im Nationalsozialismus zu beschäftigen. So empfinde ich seine Arbeit im geschichtlichen Kontext nicht ganz unbefleckt, was allerdings nicht bedeutet, sein ganzes künstlerisches Schaffen zu diskreditieren.

 

Gabriela Fridriksdottir (1971 in Island geboren) war längere Zeit meine Lieblingskünstlerin. Ich möchte sie hier noch mal erwähnen, weil mich besonders ihre Skulpturen, die sich in einem mythischen Kontext bewegen und aus Naturmaterialien entstanden sind, sehr beeinflußt haben. Die Aura, die ihre Werke ausstrahlen, hat für mich etwas unheimliches und gleichzeitig ansprechendes. Für mich verarbeitet sie unbewusste Seinsebenen, die uns an die Wurzeln unseres Daseins als in der Erde verankert erinnern können. Sie bezieht sich dabei frei auf die nordische Mythologie, die in ihrem Land einen sehr hohen Stellenwert besitzt.

 

Bruce Nauman (1960 in Indiana, USA geboren) ist wohl der Künstler, der mich zur Zeit am meisten beschäftigt. Er erscheint mir durch seine Kunst als ein sehr ehrlicher Mensch, d.h. es kommt ihm nicht in den Sinn uns oder sich selbst etwas vorzumachen. Trotzdem sind seine Arbeiten zweideutig oder mehrdimensional. Seine Kunst hat absolut nichts durchschnittliches. Sie ist schaurig schön. Beeindruckend. Direkt. Knallhart.

Er lebt abseits auf seiner Ranch und reitet gerne. Er hat einfach nichts nötig. Muss nicht in der Kunstszene leben um ein großer Künstler zu sein. Er ist wirklich glaubwürdig.

Seine Arbeit ist manchmal wie eine plötzliche Leerstelle, die einen erschrickt. Das ist genial. Nauman beschreibt dies folgendermaßen: „Es ist wie die Sache mit der Treppenstufe: Man geht im Dunkeln die Treppe hoch, man denkt, da ist noch eine Stufe und will sie nehmen, aber man ist schon oben und hat dieses komische Gefühl [ …] Das versetzt einem immer einen Schlag, bringt einen aus der Fassung.“10 Dorothée Brill erklärt Nauman: „Mittels einer solchen nicht antizipierten Erfahrung will Nauman dem Rezipienten jenen Moment spürbar machen, in dem der kontinuierliche Prozess des Denkens für einen Augenblick ins stolpern gerät und eine Situation „extremer Selbstbegegnung“ herrscht.“11 Sie erkennt eine besondere Stärke Naumans in einer „unerlässlichen und oft unvermeidlich spürbaren körperlichen Resonanz des Rezipienten auf das Kunstwerk, durch die der Berachtungsprozess eine distanziert-intellektuelle Auseinandersetzung übersteigt“12. Nauman ist auch ein Künstler der die Körperlichkeit unsere Existenz sehr betont. Seine Arbeiten beunruhigen geistig und körperlich. Vielleicht ist das das beeindruckenste an seinen Arbeiten, dass sie Geist und Körper auf eine sehr massive Weise nur als Einheit erfahren lassen. Nauman sagt: „Ein Bewusstsein seiner selbst gewinnt man nur durch ein gewisses Maß an Aktivität und nicht, indem man nur über sich selbst nachdenkt.“13

Nauman ist super konsequent. Er geht sehr weit, wenn er zum Beispiel die Grenzen der künstlerischen Freiheit auslotet. Er sagt (am Anfang seiner Karriere): „Kunst ist eben das, was ein Künstler tut, eben im Atelier herum sitzen“14. Er verortet sich dann klare Regeln, wie man sich im Atelier aufhalten kann und gibt sich bestimmte, einfache und klare – eigentlich banale - Schrittfolgen auf. Das wird dokumentiert und ist dann Kunst.

Man ist sich bei ihm nie sicher, ob er ironisch mit seiner Rolle als Künstler spielt oder ob er uns an einen Abgrund bringen will. Seine Arbeiten schillern.

 

Sarah Lucas (1962 in London geboren) erinnert in ihrer knallharten Haltung an Bruce Nauman. Sie ist frech, schamlos, körperbetont, direkt und ein bisschen giftig. Wenn man, wie ich, versucht, mutig und risikobereit zu sein in der Kunst, dann kann man sich mit ihr beschäftigen. Auch das Thema des Körpers bis hin zur Sexualität handelt sie auf drastische Weise ab. Es geht bei ihr um Psychologie und Tabubruch. Sie selbst ist mit ihrer super coolen und lässigen Art Teil ihrer Arbeit. In ihren Körperteil-Objekten, die denen von Nauman ähneln, finde ich wiederum einen Zusammenhang mit meinen Silikonabgüssen. Allerdings begnüge ich mich ja mit der Negativform als solcher und mache also demgegenüber nur Abformungen und keinen Guss im traditionellen Sinne. Trotzdem sehe ich auch hier eine Parallele, vielleicht, weil es sowohl bei Nauman, wie bei Lucas auch der eigene Körper ist, der zur Abformung benutzt wird.

Ich bin in absolut keiner Weise Feministin, aber den scheinbar feministischen Ansatz von Lucas finde ich sehr gut, weil er nicht wertend ist – was ja eigentlich dem Feminismus widerspricht. Sie scheint selber nicht genau zu wissen, was sie von dem ganzen „Sex- and Gender-Diskurs“ halten soll, obwohl es ihr Thema ist. Sie hat eine anti-intellektuelle Fuck-You-Attitüde, die ich in ihrer Unverklemmtheit bewundere.

 

Von Louise Bourgeois (1911 geboren, 2010 gestorben) möchte ich auch ein paar Zitate bringen, denn sie hat unglaublich viele unglaublich gute Werke geschaffen. Auch wenn sie immer wieder ihre Familie thematisiert und problematisiert, schafft sie gleichzeitig damit eine intensive Verbindung zur ganzen Welt (oder zumindest zu mir). Eine exzessive Nabelschau kann auch abstoßend wirken, aber ich finde man merkt, dass sie nicht auf die Betroffenheit des Rezipienten aus ist. Ihr Antrieb ist ein völlig anderer. Das ist sehr wichtig und ich habe hier ein langes Zitat von ihr, bei dem das vielleicht ein bisschen deutlich wird: „Das Endergebnis ist ziemlich negativ. Darum mache ich weiter. Die Lösung stellt sich niemals ein; sie ist wie ein Trugbild. Ich erreiche die Befriedigung nicht – sonst würde ich aufhören und glücklich sein. Es gibt keine Lösung, aber man ist sehr stolz auf sich, weil man alles getan hat, was man vermochte, und etwas bewirkt hat. Man hat das Problem verstanden, und das Verständnis des Problems ist ein sehr hohes Ziel. Viele Menschen verharren auf der Ebene des Sammelns – des Sammelns von Objekten, von Frauen, falls es sich um einen Mann handelt -, das ist eine minderere Betätigung als das Verstehen. Natürlich gibt es eine Unmenge an Künstlern, die meisten sind vollkommen uninteressant, weil es kein Selbstzweck ist, sich auszudrücken. Besser gesagt, es ist sehr wohl ein Selbstzweck, aber es ist nicht interessant. Millionen Menschen frühstücken morgens; von einem objektiven Standpunkt aus ist es schwierig, das Frühstücken interessant erscheinen zu lassen. Ich arbeite sehr hart und erreiche doch niemals - niemals -, dass die Menschen verstehen, was ich meine. Ich möchte, dass sie Hartnäckigkeit als Tugend verstehen, als Selbstzweck.“15 Zitat Ende. Ich finde bei dieser Aussage von Bourgeois lässt sich auch erahnen, warum sie sehr alt geworden ist (nämlich 98 Jahre). Wenn man will kann man bei ihr erkennen, dass es im Leben einfach und vor allem darum geht, nicht aufzugeben und immer trotzdem weiter zu machen. Die Haltung des trotzigen Kindes (die mir übrigens leider auch schon vorgeworfen wurde), finde ich da doch gar nicht so schlecht – wenn man damit nicht die Eltern oder die Umwelt nervt, sondern einfach der Sinnhaftigkeit oder vielleicht besser Sinnlosigkeit des Lebens damit begegnet.

Bourgeois Einstellung zum Erfolg kommt mir auch entgegen. Auf die Frage, ob sie am Erfolg wirklich nicht interessiert war, antwortet sie: „Nein, war ich nicht. Deshalb habe ich es so lange ausgehalten. Ich habe meinen Erfolg überstanden, weil es nicht zur Zielsetzung meiner Arbeit gehört, Erfolg mit ihr zu haben. Mein Werk wird meinen Erfolg überleben, wird tragfähiger und stärker als der Erfolg sein. Ich war nie enttäuscht darüber, keinen Erfolg zu haben.“16 Auch in dieser Hinsicht ist sie ein Vorbild für mich.

 

In diesen Zusammenhang passt, dass ich mich auch ein bisschen mit Damien Hirst beschäftigt habe, unter anderem, weil ich neugierig war, ob man vielleicht doch erfolgsorientiert und trotzdem gut sein kann. Ich fand ihn nicht ganz schlecht, aber er sagt, dass „Geld tatsächlich viel wichtiger ist als Kunst.“17 Das halte ich so pauschal und auch gerade in seiner Lage für unglaublich dumm und ich bin mir relativ sicher, dass er das nicht provokant oder ironisch gemeint hat. Sein Glaube an das Geld ist größer als sein Glaube an die Kunst. Weiß er denn nicht, dass man sich die wichtigsten Dinge im Leben doch nicht kaufen kann? Und das Kunst einem diese Dinge (es sind natürlich keine Dinge) eher näher bringen kann, als Zahlen auf dem Konto? Wieso hat er nicht BWL studiert? Oder wieso ist er dann nicht zumindest ein Jeff Koons geworden?

 

Körperlichkeit, etwas was mir wichtig ist, findet sich bei Berlinde de Bruyckere (1964 in Belgien geboren) in einer Weise umgesetzt, die mich inspiriert. Im Vordergrund steht bei ihr das Körperliche als fleischlich-totes. Sie erinnert mich an meine Beschäftigung mit Mumien und Moorleichen. Bei ihr ist in gewissem Sinne auch der Körper als geistlose Materie thematisiert. Das Material, - in vielen Fällen benutzt sie Wachs – spricht – eine wunderbar unheimliche Sprache. Sie benutzt – wie ich - Silikonabgüsse, in die sie leicht gefärbtes Wachs hinein streicht. Ich beschäftige mich demgegenüber nur mit den Silikon-Abgüssen. Es geht mir vielleicht ein bisschen weniger um Technik und mehr um das Machen als Ausdruck. Andererseits wäre es auch ein Reiz ihre Technik mal zu kopieren, weil ihre Ergebnisse mich so beeindrucken.

 

 

Ich habe ein kleines, sehr privates Buch, in dem ich mir Gedanken zu meiner Arbeit oder zur Kunst im allgemeinen aufschreibe oder kleine Skizzen mache. ... Ein paar Sätze aus dem Durcheinander in dem Buch werde ich jetzt zum Schluss noch zitieren:

 

Mit dem Bauch denken!

 

Fragen zu meiner Kunst müssen nicht logisch beantwortet werden. Der Kern der Arbeiten ist nicht sprachlich.

 

Macht ist subtil. Sinn ist subtil. Alles ist subtil.

 

Wolkenbilder sind in einem Zustand bevor sie sich materialisieren, d.h. zu etwas werden. Alles ist nichts, aber kurz bevor es zu etwas wird.

 

Wenn man etwas sofort kapiert, hat es keine Nachhaltigkeit. Es muss einen gefangen nehmen in Gedanken bleiben.

 

Die Kunst ist wie die Liebe. Man muss sich in etwas verlieben.

 

Mein Thema könnte sein: Wahrheit oder nicht.., Infragestellung, Veränderung, Verschiebung von Wahrheit.

 

Bruce Nauman sagt: es soll einen wie ein Schlag treffen. Angst, politisches wie Folter, Bedrückendes.

 

Was schockiert denn? Der Tod? Obszönes? Schamloses? Eine Geburt, abgetrennte Gliedmaßen, zu viel Gliedmaßen, mehrere Gliedmaßen, zusammengewachsene Köpfe?

 

Keine Effekte.

 

Als ob ich genau wüsste, was ich machen will, jetzt.

 

... Gute Kunst muss für mich direkt oder subtil schockieren. Sie muss die Welt einen kleinen Moment zum stehen bringen, so dass man auf sich zurück geworfen ist und die Welt hinterfragen kann, nicht unbedingt politisch, sondern existenziell. Gute Kunst darf keine Kompromisse machen. ...

 

Gute Kunst muss entweder schockieren oder unheimlich sein oder an etwas metaphysisches erinnern oder vielleicht spirituell/meditativ sein. ..

 

Für Bruce Nauman ist Kunst das, was ein Künstler in seinem Atelier macht, auch wenn der nur einfach darin hin und her geht.

 

Keinen Rahmen, keine Vorgaben, keine Disziplin, alles ist erlaubt im Atelier.

 

Überlegt oder unüberlegt (nicht zu viel überlegt), vernünftig oder unvernünftig (nicht zu vernünftig).

 

Der Kern der Arbeit ist nicht sprachlich. Mein Thema kann nicht über den Kopf, sondern nur über das Arbeiten entstehen. Dabei ist es am Besten, wenn absolut alles erlaubt ist – auch Fehler und Zerstörung.

 

Kunst macht, dass der philosophische Intellekt an seine Grenzen stößt, wie z.B. bei Wittgenstein: über das was man nicht reden kann, soll man schweigen.

 

Spontanität. Im Jetzt sein.

 

 

Keine Lösungen finden!

 

Keine Einheit machen – offen bleiben!

 

Keine Perfektion anstreben!

 

Keinen Plan ausführen!

 

Sich selber in die Quere kommen!

 

Sich selber stören!

 

Probleme schaffen!

 

Fehler machen!

 

Keine Angst vor dem Angst-Haben!

 

Hässlich sein, wenn es nicht anders geht!

 

Ehrlich sein!

 

Sich dem Geschehen ergeben!

 

Zulassen!

 

Verwirrt sein!

 

Richtung verlieren!

 

Diletantisch sein!

 

Sich nicht quälen!

 

Entwicklungen zulassen!

 

Annehmen was kommt!

 

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1Barbara Catoir, Gespräch mit Antoni Tàpies, Prestel-Verlag,1987, S. 91.

 

2Ebenda, S. 98.

 

3Rüdiger Safranski, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?, Fischer Vg., 2005, S. 185. [Hervorhebung von mir.]

 

4Rüdiger Safranski, Das Böse, Fischer Vg., 2007, S. 240.

 

5Erich Fromm, Die Pathologie der Normalität, Ullstein Vg., 2. Auflage 2012, S. 57.

 

6 Damien Hirst, In Damien Hirst, Herausggeben von Ann Gallagher, Prestel Verlag, 2012, S. 97.

 

7In Bruce Nauman. Ein Lesebuch, DUMONT Verlag, 2010, S. 182.

 

8Damien Hirst, a.a.O., S. 90.

 

9Barbara Catoir, Gespräch mit Antoni Tàpies, a.a.O., S. 97.

 

10Bruce Nauman, zitiert nach Dorothée Brill, In Bruce Nauman. Ein Lesebuch, DUMONT Verlag, 2010, S. 81.

 

11Ebenda.

 

12Ebenda, S.165.

 

13Zitiert nach ebenda, S. 163.

 

14Ebenda, S. 151.

 

15In: Donald Kuspit, Ein Gespräch mit Louise Bourgeois, Piet Meyer Verlag,

 

16Ebenda, S. 54.

 

17Damien Hirst, a.a.O., S.99.